Die folgende Arbeit stammt von Merlin Pohse und Selma Roth, die ihre Ausbildung an der „Etage“ , Schule für darstellende & bildende Kunst, Berlin absolviert haben. Sie wird in mehreren Teilen veröffentlicht. Das ist der Erste. Hier ist der 2. Teil.

Geschichtliche Einführung in die Pantomime/Mime

Das Wort Pantomimos stammt aus dem Griechischen und bedeutet “alles nachahmend”. Die Pantomime entstand, wie andere Theaterformen der Antike in Griechenland. Erste Formen der Pantomime vermutet man bei den Dionysischen Festspielen.

Während des Römischen Reiches entwickelte sich die Pantomime zu einer der höchsten Gattungen des Theaters. Sie war eine Art virtuoser Solotanz, der zwischen den Akten von Tragödien und Komödien getanzt wurde. Die Pantomimen wurden von einem Darsteller gezeigt, welcher alle vorkommenden Rollen verkörperte. Es wird angenommen, dass die

Darsteller in Maske spielten, wofür es jedoch keine eindeutigen Belege  gibt. Neben den rhythmischen Bewegungen des Körpers waren die Hände  vorrangiges Mittel zum Ausdruck von Emotionen.  Die Stücke wurden von Orchestern und Chören, gelegentlich auch von  Solosängern und Rezitatoren begleitet.  Mit dem Untergang des Weströmischen Reiches und im Zuge der  Völkerwanderung verschwand die Pantomime im weströmischen Gebiet. Im  Oströmischen Reich lebte die Pantomime bis in das 5. Jahrhundert  weiter.

Mittelalter und Renaissance

Die Kontinuität der Pantomime im Mittelalter ist nicht nachweisbar, man  vermutet ihr Überleben im Jahrmarktstheater, bei den Joculatoren (Spaßmachern) und  Gauklern.  Mit der Commedia dell’arte, dem italienischen Stegreiftheater der  Renaissance, entstand im 16. Jahrhundert eine neuzeitliche Form der  Pantomime, die sich über ganz Europa ausbreitete. Schauspieltruppen der  Commedia etablierten sich zunehmend im Jahrmarktstheater in Frankreich, wurden im späten 16. Jahrhundert aber auch vom französischen Hochadel  eingeladen.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts residierten manche Truppen  zuweilen mehrere Jahre am Hofe des Königs.  Französische Schauspieler und Gruppen adaptierten die Spielweise der  Italiener und fügten eigene Traditionen in ihr Spiel mit ein. So  wandelten sich im Laufe der Jahrhunderte die Figuren und es entstanden  neue Typen. Den bestehenden Charakteren wurden neue Namen gegeben und  ihre Eigenheiten dem Spiel angepasst. Aus der Dienerfigur des  Arlecchino wurde Harlekin, die Figur des Pedrolino entwickelte sich zu  Pierrot.  In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erschienen italienische  Truppen der Commedia dell’arte, kurze Zeit später auch französische  Jahrmarktsschauspieler, auf den englischen Jahrmärkten. Da ihre Sprache  vom englischen Publikum nicht verstanden wurde, mussten sie sich auf  Bewegung, Tanz und Gestik verlegen.

Die Stücke der Commedia dell’arte entwickelten sich im  Jahrmarktstheater zu derben komischen Tänzen, bei welchen die  akrobatischen Kunstfertigkeiten der Akteure immer mehr in den  Vordergrund rückten. Waren in den Stücken der Commedia die komischen,  akrobatischen „Lazzi“ eingestreute Szenen innerhalb der Aufführung,  bauten die Akrobaten und Tänzer der Jahrmarktstheater mehr und mehr  neue Stücke um die akrobatischen Tänze herum.  1680 erhielt die Comédie Francaise das alleinige Recht zur Aufführung  von Komödien und Farcen. Die Aufführungen in den Jahrmarktstheatern  durften nur noch Kunststücke, Tanz und Akrobatik beinhalten.  Bedingt durch diese Restriktionen entwickelten sich die Komödien immer  mehr zu stummen Pantomimen, in denen die Figuren sich durch Gestik und  Mimik verständlich machten.

Der berühmteste Vertreter der Pantomime des Jahrmarktstheaters war Jean  Gaspard Deburau.  Er gilt als Erfinder der modernen Pantomime und schuf die Figur des  poetischen, melancholischen Pierrots. Deburau wurde mit dem Film  „Kinder des Olymp“ (1945) in der Darstellung von Jean-Louis Barrault  ein Denkmal gesetzt.  Im 19. Jahrhundert erhielten die Theater eine neue Funktion. Technische  Neuerungen machten es möglich, die Bühnenbilder im Verlauf eines  Stückes zu verwandeln. Dadurch wurde die Arbeit der Bühnenmaler und  Dekorateure immer wichtiger. Die Bühnenbilder wandelten sich zu  Dioramen und Panoramen, mit ihrer Hilfe wurden historische Ereignisse  nachgestellt. So entwickelten sich die Pantomimen nach und nach zu  Schaustücken, welchen aufklärerische Funktion zukam. Sie befriedigten die Neugier des Publikums auf die Welt, hier wurde das Zeitgeschehen  kommentiert und ins Spiel einbezogen.  Harlekin, Pierrot und die anderen Figuren der populären Pantomime  rückten bei diesen Schaustücken aber mehr und mehr in den Hintergrund.  Charles Deburau, der Sohn Jean Gaspards, ist einer der letzten grossen  Pierrots, die Figuren der Harlekinaden wurden durch die Schaustücke  abgesetzt. Mit der Entstehung des Kinos starb die populäre Pantomime  endgültig aus.

Pantomime/Mime im 20. Jahrhundert

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird im Theater eine neue Entwicklung  sichtbar. Sie wendet sich von dem naturalistischen Theater der  bürgerlichen Gesellschaft, dem es um grösstmögliche Wirklichkeitstreue  geht, ab. Mit den neuen technischen Errungenschaften wie der  Gasbeleuchtung und später dem elektrischen Licht, neuen  Ausstattungsmöglichkeiten wie geschlossenen Zimmerdekorationen bemühen  sich die Theater, die reale Umwelt in den Inszenierungen möglichst  detailgetreu nachzuahmen. Gleichfalls sollen die Schauspieler auf jede  Überhöhung von Gestik, Mimik und Sprachgestaltung zugunsten einer  lebensnahen Darstellung verzichten.  Die neue Bewegung sucht die Retheatralisierung des Theaters. Theater  soll zu einer eigenständigen Kunstform erwachsen, in welcher das Künstlerische und das Kunstschaffen an sich zentrale Bedeutung haben.

Edward Gordon Craig, ein englischer Bühnenbildner und Theaterkritiker,  wird einer der bedeutendsten Vordenker der neuen Ausrichtung des  Theaters. Craig gilt als Erfinder der Stilbühne, er arbeitet mit  Rhythmus, Farbe und Licht und setzt diese Mittel als einer der Ersten  bewusst ein. Seine Vorstellungen gleichen denen Adolphe Appias, mit dem  er sein Leben lang schriftlichen Kontakt hält. Craig sucht ein  theatrales Gesamtkunstwerk aus der Synthese aller szenischen Elemente.

Auch der Schauspieler ist in seiner Theorie ein Teil der  Gestaltungsmittel. In seinem Manifest „Der Schauspieler und die Über-  Marionette“ von 1907, fordert Craig den Schauspieler auf, sich von der  blossen Nachahmung der Realität zu befreien, um ähnlich wie bei der  Musik und anderen Künsten zu einer stilisierten Darstellung der  Wirklichkeit zu gelangen. Für Craig ist die Vorraussetzung dafür die  perfekte Beherrschung des Körpers und der Emotionen. Den Menschen sieht  er dazu nicht in der Lage, weshalb er die Vorstellung einer Über-  Marionette entwirft, die den Schauspieler ersetzen soll.

Später weicht  er von der Absolutheit seiner Forderungen ab, die Beherrschung des  Körpers bleibt für ihn jedoch von zentraler Bedeutung. Craig erforscht  seine Thesen in seiner eigenen Theaterschule der „Arena Goldoni“ die er  1911 in Florenz  eröffnet. Craig übt grossen Einfluss auf das Theater  aus. So greift Jacques Copeau dessen Theorien in seiner eigenen  Theaterschule wieder auf, Etienne Decroux erklärt sie gar zu den  Prinzipien seiner Erforschung der reinen Mime.

Rhythmische Gymnastik

Auch in anderen Bereichen der Kunst gibt es neue Entwicklungen. Emile  Jaques-Dalcroze wird 1892 Lehrbeauftragter für Harmonielehre am Genfer  Konservatorium. Als er erkennt, dass seinen Schülern das rhythmisch-  metrische Empfindungsvermögen fehlt, entwickelt er in den folgenden  Jahren, zusammen mit seinen Schülern, eine Methode, Musik durch  körperliche Bewegung erlebbar zu machen. Der musikpädagogische Erfolg  seines Konzeptes ist enorm, die „Rhythmische Gymnastik“, wie Emile  Jaques-Dalcrozes Methode genannt wird, ein Erfolg.

Nachdem seine Zeit  am Konservatorium zu Ende geht, eröffnet Jaques-Dalcroze eine eigene  Schule, in welcher er sein Konzept weiter lehrt.  Diese neue Form des körperlichen Ausdruckes findet grossen Anklang bei  Adolphe Appia, einem Bühnenbildner und Theatertheoretiker, welcher sich  mit der Neugestaltung des Theaterraumes befasst. Appia strebt, ähnlich wie Edward Gordon Craig eine Stilisierung hin zu einem rhythmischen  Raum an. Durch die Beschäftigung mit den zeitgenössischen  Inszenierungen der Opern Richard Wagners entwirft Appia ein Konzept der  Neugestaltung, in  welcher der menschliche Körper, die Musik und der  Raum zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen.

In der „Rhythmischen  Gymnastik“ sieht er eine Möglichkeit, der Darstellung eine neue  Dimension zu verleihen.  Emile Jaques-Dalcroze und Adolphe Appia experimentieren im  Festspielhaus Hellerau bei Dresden, wo sie auch gemeinsam inszenieren.  Ihre Aufführungen gelten als bahnbrechend für eine neue Form des  Theaters. Eine Schülerin von Jaques-Dalcroze wird in Hellerau Mary  Wigman. Sie erhält Unterricht in „Rhythmischer Gymnastik“ und  entwickelt aus dieser und anderen Einflüssen den Ausdruckstanz.  In Frankreich fallen die Ideen Craigs und Appias auf fruchtbaren Boden.

Jacques Copeau ist Theaterkritiker und Herausgeber der Zeitschrift: „La  Nouvelle Revue Française“. 1913 kündigt er in seinem Manifest „Versuch  dramatischer Erneuerung“ die Gründung eines eigenen Theaters an, um der  Industrialisierung des bestehenden Theaters entgegenzuwirken.  Gleichzeitig beschliesst Copeau, dem Theater eine professionelle  Schauspielschule anzuschliessen.

Er trifft in den Jahren 1915-1916 sowohl Emile Jaques-Dalcroze und  Adolphe Appia in der Schweiz, als auch Edward Gordon Craig in Florenz.  Diese Begegnungen üben entscheidenden Einfluss auf seine Ideen zur  Ausbildung des Schauspielers aus. Von Craig übernimmt er die Idee  Masken zu benutzen. Ausgehend von den Masken des Japanischen Theaters  entwickelt Copeau die „Masque Noble“, einen Vorläufer der später von  Jacques Lecoq benutzten Neutralen Maske. Die von Jaques-Dalcroze  geschaffene „Rhythmische Gymnastik“ begeistert Copeau so sehr, dass er  sie zur Grundlage seiner Schauspielausbildung macht. Nach dem er  zunächst seine eigene Truppe unterrichtet, eröffnet Copeau 1921 seine  Schauspielschule am Théâtre du Vieux-Colombier.

Neben Fächern wie  Klassischer Tanz, Akrobatik und Musik wird auch das Maskenspiel Teil  des Lehrplans. Als einer der ersten Schauspielpädagogen führt Jacques  Copeau die Improvisation in die Ausbildung des Schauspielers ein. 1924  schliesst Copeau das Théâtre du Vieux-Colombier und zieht mit einem  Teil seiner Truppe und dem Grossteil der Schule auf das Land. In der  Bourgogne gründet er eine neue Truppe, die „Les Copiaus“ genannt wird.  Die Arbeit von Copeau wird von mehreren Menschen weitergetragen und  entwickelt. So ist Jean Dasté ein Schüler und Vertrauter von Copeau.

Dasté unterrichtet unter der Aufsicht von Copeau bereits die „Copiaus“  und setzt dessen Arbeit später in seiner eigenen Truppe der „Compagnie  des Comédiens de Grenoble“ fort. Ein Mitglied dieser Truppe wird dort  Jacques Lecoq.

Stanislawski, Strassberg und „Method-acting“

In Russland entstehen im gleichen Zeitraum ebenfalls Bemühungen, das  Theater zu erneuern.  Konstantin Stanislawski sucht Wege, den Schauspieler wahrhaftig auf der  Bühne empfinden zu lassen. Er entwickelt in dem von ihm gegründeten  Moskauer Künstlertheater das naturalistische Darstellen entschieden  weiter. Die höchste Aufgabe des Theaters ist für ihn die Wahrheit. Sich  ihr verpflichtet fühlend, inszeniert er so wirklichkeitsgetreu wie  möglich. Ab 1904 beschäftigt er sich mit dem Symbolischen Theater.

Während dieser Experimentierphase kommt es zum gedanklichen Austausch  mit Copeau und Craig. Letzterer inszeniert mit ihm zusammen in Moskau.  Später kehrt Stanislawski zum psychologischem Realismus zurück. Sein  „System“ der Schauspielausbildung wird wegweisend für die  Schauspielausbildung in aller Welt. Lee Strassberg entwickelt daraus  das „Method-acting“. Michail Chechov führt die Lehre Stanislawskis in  seine eigene Methode der Schauspielkunst über. Es bilden sich aber auch  gegensätzliche Auffassungen. Mitarbeiter von Stanislawski, wie  Wachtangow, Tairow und Meyerhold wenden sich vom psychologischen  Realismus ab und suchen ihrerseits andere Möglichkeiten des  Darstellenden Spiels, die nicht an die Realitätstreue gebunden sind.

Wsewolod Meyerhold wird 1898 Schauspieler am neugegründeten Moskauer  Künstlertheater unter Leitung Stanislawskis. Später übernimmt er die  Leitung der Studiobühne des Moskauer Künstlertheaters. Meyerhold  experimentiert mit Formen der Commedia dell’arte, des japanischen  Kabuki Theaters und der Pantomime und entwickelt, angeregt durch den  sizilianischen Schauspieler Grasso, erste Etüden und Spielformen des  späteren Systems der Biomechanik.

In Frankreich werden unterdessen weiter neue Formen des Theaters  ausprobiert. 1926 gründen die Pariser Theaterdirektoren Louis Jouvet,  Gaston Baty, Georges Pitoëff und Charles Dullin das „Cartel de  Quatres“, eine Vereinigung gegen das Illusionistische Theater, mit dem  Ziel, die Schauspielkunst im Sinne Copeaus zu erneuern.  Charles Dullin gilt als Nachkomme Copeaus. Er ist einer der ersten  Schauspieler von Copeaus Truppe, löst sich jedoch schon vor der  Schliessung des Théâtre de Vieux-Colombier von ihm und begründet 1922  das Théâtre de L’Atelier in Paris. Copeaus Beispiel folgend richtet  Dullin ebenfalls eine Schauspielschule in seinem Theater ein, er  unterrichtet selbst nach der Methode Copeaus.

Das Théâtre de L’Atelier ist wird eines der wenigen privaten Theater in  Paris, die sich neben der Comédie Francais behaupten können.  Ein Schauspieler am Théâtre de L’Atelier ist Etienne Decroux. Er war  vorher Schüler am Vieux-Colombier und hat durch seine Lehrerin Suzanne  Bing die Arbeit mit dem Körper kennen gelernt.

Bei Dullin arbeitete Decroux als Schauspieler und Lehrer. Während dieser Zeit beginnt er sich dem Studium des körperlichen Ausdruckes zu widmen. Als Jean-Louis Barrault seinerseits an das Théâtre de L ́Atelier kommt, finden sich Decroux und er schnell, die Forschungen werden nun zu zweit fortgesetzt. Decroux und Barrault entwickeln in den nächsten zwei Jahren unter anderem das „Gehen auf der Stelle“ und „Le Combat Antique“.
Jean-Louis Barrault wendet sich dann später verstärkt dem Schauspiel zu, sucht aber auch in seinen späteren Arbeiten stets die Verbindung zur Mime zu erhalten. So nimmt er in seiner Inszenierung „Antonius und Cleopatra” von 1945, den in den Jahren bei Dullin erarbeiteten „Combat Antique“ wieder auf. Weltweite Bekanntheit erlangt Barrault mit seiner Darstellung des „Baptiste” in dem Film „Kinder des Olymp” von 1945, mit der er Jean Gaspard Deburau, dem Pierrot des 19. Jahrhunderts, ein filmisches Denkmal setzt.
Decroux seinerseits eröffnet in späteren Jahren eine eigene Schule, die sich ausschliesslich der Erforschung des von ihm entwickelten „Mime Corporel Dramatique“ widmet.

Decroux und Mime Corporel

Decroux erschafft nicht nur eine Körpergrammatik, sein Werk wird wegweisend für die gesamte Pantomime des 20. Jahrhunderts. Gibt Decroux zunächst noch öffentliche Demonstrationen seiner Forschung, so etwa beim „Soirée de mime corporel“ 1945 in Paris, dem auch Edward Gordon Craig beiwohnt, zieht er sich im Laufe der Zeit mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück und unterrichtet dann ausschliesslich in dem Studio seines Hauses.

Zahlreiche Schülerinnen und Schüler nehmen Unterricht bei Etienne  Decroux, einer von ihnen ist Marcel Marceau. 1946 erhält er  Schauspielunterricht am Théâtre Sarah-Bernhardt bei Charles Dullin und  gleichzeitig Unterricht in „Mime Corporel“ bei Etienne Decroux, der zu  dieser Zeit ebenfalls am Théâter Sarah-Bernhardt lehrt. Im gleichen  Jahr bekommt Marcel Marceau ein Engagement in der Compagnie von Jean-  Louis Barrault für die Rolle des Harlekin in der Pantomime „Baptiste“.

Marcel Marceau und „Bip“

Marcel Marceau kombiniert „Mime Corporel“ mit der „Pantomime Blanche“  und entwickelt daraus eine neuzeitliche Pantomime mit welcher er sich  von der Technik Decroux ́ abwendet. Mit seiner Figur „Bip“ erlangt  Marceau Weltruhm, seine Spielart wird zum Inbegriff der Pantomime.  Ein anderer Schüler am Théâtre Sarah-Bernhardt ist Jean Soubeyran.

Er  erhält, neben Schauspielunterricht bei Dullin, ebenfalls Lektionen in  „Mime Corporel“ bei Decroux. Er schliesst sich später der von Marceau  gegründeten Truppe „Compagnie des Mimes Marcel Marceau“ an und spielt  dort mehrere Jahre.  Soubeyran erteilt selber Unterricht in Pantomime, er siedelt später  nach Deutschland um, wo er gleichfalls in der Bundesrepublik, wie auch  in der DDR, die Pantomime begründet.  Bei Decroux geht auch der Clown Dimitri in die Lehre. Er erhält Stunden  in „Mime Corporel“, gleichzeitig nimmt er Unterricht bei Marcel  Marceau. Später wirkt er in dessen Inszenierungen „Les Matadors“ und  „Le Petit Cirque“ mit. Dimitri sucht die Verbindung der Pantomime mit  dem Komischen, er erarbeitet eigene clowneske Stücke in welche er  pantomimische Elemente einfliessen lässt.

Jacques Lecoq wird 1945 in die von Jean Dasté gegründete Truppe „Comédiens de Grenoble“ aufgenommen. Hier lernt er die Arbeit mit der Maske und das Japanische Theater kennen, welche Jean Dasté in der Tradition seines Schwiegervaters Jacques Copeau weiterführt. 1950 wird Lecoq von Giorgio Strehler nach Mailand an das Piccolo Teatro berufen, um dort mit ihm eine Theaterschule zu begründen. Während seinen Lehrtätigkeiten am Piccolo Teatro lernt Lecoq auch Etienne Decroux kennen, welcher zu dieser Zeit ebenfalls dort unterrichtet. Später kehrt Lecoq nach Paris zurück, um sich ganz der Schauspielpädagogik zu widmen. Seine Schauspielschule ist zugleich sein Forschungsgegenstand, die Lehre wird mit den Jahren weiter entwickelt. Lecoq sucht unter Anderem aus den Elementen des Maskenspiels, der Commedia dell ́arte und der Pantomime in seinen Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein für das Verhältnis von Körper und Raum zu wecken. Lecoq sieht seine Arbeit als Fortsetzung der Erneuerungsbemühungen von Copeau, den er als richtungsweisend für seine Pädagogik beschreibt.

Während seiner Lehrtätigkeiten am Piccolo Teatro in Mailand, lernt Lecoq auch Dario Fo kennen. Dario Fo kommt über den Rundfunk, für den er Sartiren schreibt zum Theater. Zusammen mit seiner Frau Franca Rame schreibt er Farcen und Komödien, welche er auch am Piccolo Teatro inszeniert. Dario Fo sucht die Wiederbelebung des volkstümlichen Theaters, sein Augenmerk liegt unter Anderem auf der Commedia dell ́arte, deren Einfluss in seinem Werk deutlich zu sehen ist. Fo trifft in Mailand neben Lecoq auch Decroux. Die Konzepte beider üben grossen Einfluss auf seinen Zugang zur Darstellung aus, Fo bezeichnet beide als seine Lehrer.

In Osteuropa gibt es in den 50er-Jahren ebenfalls eine Hinwendung zur  Pantomime, welche jedoch keine direkte Anbindung an die franözische  Pantomime hat.  1953 gründet der Tscheche Ladislav Fialka in Prag eine Pantomimegruppe,  die aus Absolventen des Prager Konservatoriums besteht. Vom klassischen  Tanz ausgehend entwickeln sie erste Stücke. Fialka unternimmt Tourneen,  durch welche er Kontakt zu anderen Mimen wie Marcel Marceau und Samy  Molcho erhält. Die Beschäftigung mit der französischen Mime bestimmt  seine Darstellungen, Fialka beginnt mehr und mehr im Stile des Jean Gaspard Deburau zu spielen, welcher seine grösste Inspiration wird.

In Polen entwickelt Henryk Tomaszewski ähnlich wie Fialka eine eigene  Form der Pantomime. Auch er ist eigentlich Tänzer, aber schafft in dem  von ihm gegründeten Pantomime-Sudio Breslau eine eigene bildhafte  Theatersprache.  Samy Molcho kommt ebenfalls vom klassischen Tanz. Er ist Schüler von  Alvin Epstein, welcher seinerseits bei Decroux lernte. Molcho spielt  und inszeniert pantomimsche Dramen, wendet sich jedoch später der  Erforschung der alltäglichen Körpersprache zu.  Das Werk der Theaterreformer wie Jacques Copeau und Charles Dullin, die  Visionen Edward Gordon Craigs und Adolphe Appias, und nicht zuletzt das  Schaffen von Etienne Decroux und Jacques Lecoq verhilft der  Pantomime/Mime im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu einer neuen  Popularität. Durch das steigende Interesse am körperlichen Ausdruck  erwächst die Pantomime/Mime zu einer eigenständigen Kunstform und  etabliert sich in der Theaterwelt.

Die Suche nach einem neuen Theater führt auch zu der Erforschung des  Schauspielers, der Schauspielerin. Der Kern des theatralen Vorganges  wird zum Gegenstand der Arbeit von Jerzy Grotowski.  Jerzy Grotowski studiert 1955/56 am Institut für Theaterkunst in  Moskau, wo er mit den Methoden Stanislawskis und Meyerholds vertraut  gemacht wird. Die Auseinandersetzung mit dem Japanischen Theater führt  ihn zu Forschungsreisen nach Asien, wo er sich mit den verschiedenen  traditionellen Methoden des Asiatischen Theaters auseinandersetzt.  Er gründet in Breslau, Polen, später das „Teatrlaboratorium“ zur  wissenschaftlichen Erforschung der Theaterkunst. Zusammen mit einem  festen Stab von Mitarbeitern sucht er die Wahrhaftigkeit des Theaters  zu ergründen. Die wenigen Inszenierungen des Teatrlaboratoriums  repräsentieren den jeweiligen Ergebnisstand der Forschung. Grotowskis  Erkenntnisse gewinnen im Laufe der Jahre zunehmend Einfluss auf  Theaterschaffende weltweit.

Kurzbiographien

Die folgenden Seiten beinhalten Kurzbiographien der uns wichtig  erscheinenden und treibenden Kräfte der Pantomime/Mime im 20.  Jahrhundert. Die ungleich detaillierte Ausführung der Biographien ist  einzig und alleine auf unterschiedlichen Zugang zu Informationsmaterial  zurückzuführen. Zum Beispiel sind Angaben über Leben, Werk und  Anbindung von Henryk Tomaszewski und Ladislav Fialka leider sehr  spärlich und uns mehrheitlich verschlossen geblieben.  Der Schwerpunkt beim Verfassen der Biographien lag darin, die  Zusammenhänge zu finden und aufzuzeigen. Also: Wer mit wem, wann, was  und wie. Diese Verknüpfungen werden im nächsten Teil noch einmal aufgegriffen  und visuell dargestellt.

Adolphe Appia

Jean-Louis Barrault

Jacques Copeau

Edward Gordon Craig

Jean Dasté

Etienne Decroux

Dimitri

Charles Dullin

Ladislav Fialka

Dario Fo

Jerzy Grotowski

Emile Jaques-Dalcroze

Jacques Lecoq

Marcel Marceau

Wsewolod Emilijewitsch Meyerhold

Samy Molcho

Jean Soubeyran

Konstantin Stanislawski

Henryk Tomaszewski

Mary Wigman

Der 2. Teil mit Literaturangaben und Empfehlungen sowie einem Stammbaum der Pantomime findet Ihr demnächst hier.

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